Nach diesem Text weißt du, ob du dir Steuertricks leisten kannst
Was Starbucks und Co. an Steuern sparen, zahlen wir alle obendrauf. Können diese 2 jungen Unternehmerinnen da mithalten?
»Es ist schon heftig, wie viel Steuern wir jetzt schon zahlen. Künftig wird das sogar noch ein ganzer Batzen mehr«, erzählt mir Nataly Hernández Martínez mit einem etwas gequälten Gesichtsausdruck.
Ich sitze im kleinen Café namens
Vergangenen Monat konnten sie zum ersten Mal 2 Mitarbeiter einstellen. »Noch schreiben wir natürlich keine schwarzen Zahlen, deswegen müssen wir erst mal nur Umsatzsteuer zahlen. Wenn wir eine bestimmte Grenze überschreiten, kommt noch die Gewerbesteuer dazu. Und auf unsere Gewinne müssen wir dann auch noch 15% Körperschaftsteuer zahlen«, berichtet Luise Raven. Für ein junges Unternehmen keine angenehme Aussicht.
Wenn sie an die Starbucks-Filialen am Hauptbahnhof und in der Fußgängerzone denken, mischt sich ein Anflug von Zorn und Verachtung in den Blick der jungen Gründerinnen. »Wir kennen lokale Cafés, die sich durch ihre tolle Arbeit inzwischen mehrere Läden hier in Düsseldorf aufgebaut haben. Die zahlen ihre Abgaben so wie wir auf Heller und Pfennig. Die großen internationalen Ketten hingegen drücken sich doch, wo sie können«, sagt Luise Raven.
Und damit liegt sie richtig: Der Starbucks-Konzern mit seinen Millionen von Mitarbeitern und über 22 Milliarden Euro Umsatz jährlich
Weißt du, wo das Geld für deinen Kaffee landet?
»Ungerechter geht es nicht! Die, die am meisten Umsatz machen, zahlen am wenigsten. Wie können die nur damit durchkommen?«, fragt Nataly Hernández Martínez mich. Und wir stellen uns die – nicht ganz ernst gemeinte – Frage: »Könnte Manko das nicht auch?«
Internationaler Big Player gegen das Kaffeestübchen nebenan
Sicher, das kleine Café hat gänzlich andere Startbedingungen als der Global Player Starbucks. Der leitet seine weltumspannenden Geschäfte nicht aus einer vergleichsweise kleinen Landeshauptstadt, sondern aus Seattle in den USA: Von dort aus werden Kaffeebohnen in Südamerika und Indien eingekauft, weiterverarbeitet und verschifft. Im größten Hafen Europas in den Niederlanden wird die Ladung gelöscht, auf Lkw verladen und nach Belgien gefahren, wo die Bohnen geröstet und schließlich in ganz Europa vertrieben werden.
Bei so einer langen und komplizierten Wertschöpfungskette, die ein einzelner
Im Vergleich arbeiten unsere selbstständigen Caféinhaberinnen aus Düsseldorf gänzlich anders: Ihre Bohnen erhalten sie aus einer lokalen
Das Prinzip hinter der »Steuer-Magie« der Großen
Während Nataly Hernández Martínez und Luise Raven ihre Geschäfte nur hierzulande machen und damit nach deutschem Recht Steuern zahlen, wissen Starbucks-Manager genau, dass in den verschiedenen Ländern auch unterschiedlich hohe Abgaben fällig werden. Und das schafft Raum für Missbrauch. Die Idee dahinter ist einfach, unfair und genial:
Wo keine Gewinne sind, können sie auch nicht besteuert werden.
Und so legen große Unternehmen wie Starbucks die Regeln der Steuersysteme so kreativ aus, dass sich Gewinne in den Weiten der globalisierten Wirtschaft scheinbar in Luft auflösen. Dazu lassen es Steuer-»Optimierer« künstlich so aussehen, als würden sie nur Umsatz, aber keinen Gewinn machen – und zwar so:
»Es ist doch total offensichtlich, was da vor sich geht!« Nataly Hernandéz Martínez kann nicht glauben, dass das legal ist.
»Doch«, sagt Frederik Heitmüller vom Tax Justice Network. »Zumindest wenn man es schafft, dem Gesetz das Wort 3-mal im Mund umzudrehen.« Und so geht es.
»Besteuere mich, wenn du kannst«: Wie Starbucks keinen Gewinn macht und damit reich wird
»Das Prinzip, wie normale Menschen Steuern bezahlen, ist ja sehr einfach: Man bezahlt die Steuern da, wo man wohnt. Bei multinationalen Unternehmen ist das anders. Der Knackpunkt ist, wie die Profite hier aufgeteilt werden«, erklärt Frederik Heitmüller. Er arbeitet für das
Auf dem Papier tut man so, als würden sich die separaten Unternehmensteile Dienstleistungen, Markenrechte oder Lizenzen gegenseitig verkaufen.
Natürlich sind auch Großunternehmen wie Starbucks dazu verpflichtet, adäquate Preise für diese Leistungen zu berechnen und diese den Behörden bis zu einem gewissen Grad transparent zu machen. Bei einfachen Waren wie frischen Kaffeebohnen fällt Trickserei deshalb auch leicht auf: Wenn ein Sack, der zwischen Tochterfirmen verschoben wird, mit 5.000 Euro zu Buche schlägt, wird die deutsche Steuerbehörde schnell misstrauisch.
Geht es allerdings um eine Lizenz oder eine neue Marketingkampagne, ist schwerer nachzuweisen, ob diese nun 10.000 oder 1 Million Euro wert ist. »Dabei agieren multinationale Unternehmen natürlich so, dass ein Unternehmen in einem Land mit niedrigen Steuern fiktive Leistungen an eines in einem Land mit höheren Steuern verkauft«, erklärt Frederik Heitmüller.
Das Ergebnis: Am Ende steht in den Ländern mit vergleichsweise höheren Steuern – wie Deutschland – fast kein Gewinn mehr unter dem Strich, während in Ländern mit Dumping-Steuersätzen – wie den Niederlanden – die Gewinne auftauchen. Nur werden sie dort eben fast gar nicht besteuert.
Auf diese Weise hat Starbucks es mit seinen 150 Fillialen in Deutschland fertig gebracht, hierzulande in den letzten Jahren keinen Cent Körperschaftsteuer zu zahlen. Man habe schließlich nur Verluste gemacht.
Manche Unternehmen tun ernsthaft so, als sei ein Großteil ihres Gewinns in den Niederlanden oder Luxemburg erwirtschaftet worden. Das ist natürlich Quatsch.
Selbst wenn Nataly Hernandéz Martínez und Luise Raven noch ein paar Filialen in den Niederlanden, Frankreich und Belgien gründen würden, könnten sie das »Besteuere mich, wenn du kannst«-Spiel der großen Konzerne nicht mitspielen. Auch mit einem zwielichtigen Steuerberater und einer Tochterfirma auf den Seychellen kämen sie nicht weiter.
Um die Steuerbehörden dauerhaft auszutricksen, muss etwas Komplexeres her. Und dazu greifen die großen Unternehmen auf etwas zurück, das für die Gründerinnen unerreichbar ist: Die Unterstützung von echten Profis – den sogenannten »Big Four«.
Die »Big Four« – kreative Auslegung der Regeln oder kriminelle Energie?
Wenn ein Konzern Steuern vermeiden will, wendet er sich an 4 bekannte Helfershelfer: Die Unternehmen Deloitte, Ernst & Young, KPMG und PwC teilen nicht nur 2/3 des weltweiten Umsatzes in der Wirtschaftsprüfung unter sich auf, sie sind auch häufig die Steuerberater der »großen Fische« und allein hierzulande für 142 der 160 börsennotierten Unternehmen aktiv.
Allerdings kennen sie sich nicht nur bestens mit Steuerrecht aus, sondern pflegen auch beste Kontakte zu Entscheidungsträgern im
Die »Big Four« beraten neben finanzstarken Großunternehmen auch die deutschen und EU-Behörden in Steuerfragen, weil diese selbst nicht mehr ausreichend Ressourcen haben, um die internationalen Steuerkonstrukte zu durchblicken – genau die, die sie selbst für viel Geld für zahlungskräftige Kunden spinnen. Doppelt lukrativ also.
Viele der Steuertricks sind legal – aber an Dreistigkeit kaum zu überbieten
Wie gut der Unternehmens-Lobbyismus funktioniert, erkennt man auch daran, wie wenig einträglich die Körperschaftsteuer für den deutschen Fiskus ist: Obwohl die Unternehmensgewinne in den letzten Jahren
Der einträgliche Service der »Big Four« hat allerdings seinen Preis: Eine Journalistin des NDR erkundigte sich telefonisch zu Recherchezwecken bei den 4 Wirtschaftsprüfern, ob auch ihre kleine Produktionsfirma die »Steueroptimierungs«-Dienste in Anspruch nehmen könne. Sie blitzte jedoch überall ab, außer bei Ernst & Young. Eine »robuste Beratung« sei allerdings erst ab 15.000 Euro zu bekommen, für die weitere Zusammenarbeit würden dann noch mehrere 10.000 Euro anfallen. Dies würde sich aber laut Auskunft des Mitarbeiters erst ab
Das ist außerhalb der Reichweite von Gründern und kleinen Unternehmern wie Nataly Hernandéz Martínez und Luise Raven. Für sie besonders frustrierend: Während das deutsche Finanzamt beim eigenen kleinen Café ganz genau hinschaut, drückt es bei den Großen schon mal ein Auge zu – wenn der Preis stimmt. Kreative Steuerkonstrukte in rechtlichen Grauzonen können hierzulande nämlich sogar vorab genehmigt werden. Kostenpunkt: ab 20.000 Euro aufwärts für die »besondere Inanspruchnahme der Finanzbehörde«.
Was da passiert, und das sagen diese Leute ja auch immer wieder, ist legal. Die Lücken in der Regulierung werden soweit auf die Spitze getrieben, dass es am Ende zwar nicht unbedingt ungesetzlich ist, aber auf keinen Fall so gewünscht sein kann.
»Das ist doch eine Ohrfeige für alle, die ihre Steuern ehrlich bezahlen. Wieso schiebt die Politik dem nicht endlich einen Riegel vor?«, will Nataly Hernandéz Martínez wissen. Die Antwort ist peinlich, vor allem für Deutschland.
Wenn wir fair besteuern wollen, brauchen wir Transparenz
In den vergangenen Jahren haben sich die Chancen kleiner Gründer etwas an die der großen Unternehmen angeglichen – dank ungeahnter Verbündeter. Mutige »Whistleblower« machten viele Praktiken der multinationalen Unternehmen und ihrer Berater öffentlich.
Angesichts der öffentlichen Empörung konnten die politischen Verantwortlichen nicht länger ihre Augen verschließen. Vor diesem Hintergrund wurde im Jahr 2015 beschlossen, dass Berichte über die Aktivitäten multinational tätiger Unternehmen automatisch zwischen Steuerbehörden ausgetauscht werden müssen.
Dieses sogenannte Country-by-Country-Reporting ist ein großer Fortschritt, hat allerdings eine entscheidende Schwäche: Der Austausch zwischen den Behörden ist geheim, Journalisten, Nichtregierungsorganisationen und die Öffentlichkeit haben also keine Chance, die Vorgänge nachzuvollziehen.
Das wäre aber durchaus wünschenswert, denn die Steuerbehörden sind zahlen- und ressourcenmäßig haushoch unterlegen und führen daher einen ungleichen Kampf. Die milliardenschweren Konzerne verfügen hingegen über eine Heerschar von gut ausgebildeten Steuerberatern und Rechtsanwälten. Paradoxerweise wurde deren kostspielige Ausbildung von den Staaten bezahlt, die nun dank dieser Berater ihre Steuereinnahmen einbüßen.
Eine Politikerin, die sich mit diesem Zustand nicht abfinden will und sich auf die Seite der Kleinen stellt, ist Evelyn Regner. Als Mitglied des Europäischen Parlaments für die Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten setzt sie sich für ein öffentliches Country-by-Country-Reporting (CbCR) ein: »Es geht jetzt darum, der Öffentlichkeit zu zeigen, wo große, multinationale Konzerne ihre Gewinne erzielen und wo sie ihre Steuern in welcher Höhe entrichten. Das schafft Transparenz für alle anderen Steuerzahler.«
Das wäre fair, doch es regt sich Widerstand: Obwohl die EU-Kommission sowie das EU-Parlament ein öffentliches CbCR befürworten, blockieren im Rat einige Mitgliedstaaten die weiteren
Das häufig vorgebrachte Argument, dass große Unternehmen schlicht abwandern würden, wenn ihnen die Daumenschrauben angelegt werden, will Evelyn Regner nicht gelten lassen: »Wir müssen uns viel deutlicher ins Bewusstsein rufen, dass die EU als stärkster Binnenmarkt der Welt mit über 550 Millionen Bürgern Konzernen wie Starbucks, Google und Co. die Spielregeln vorgeben kann. Besonders eine Positionierung Deutschlands könnte unentschlossenen Ministern den Anstoß geben, auch über ihre Schatten zu springen.«
Das wäre ein großer Schritt in Richtung einer Wettbewerbsfähigkeit, die wirklich etwas wert wäre und auch kleinen Gründern bessere Chancen einräumen würde, es eines Tages mit den Großen aufzunehmen. Das wäre auch ganz im Sinne der beiden Gründerinnen Nataly Hernandéz Martínez und Luise Raven. Sie sind sich sicher: »Wohl niemand zahlt wirklich gerne Steuern, aber trotzdem muss doch jeder seinen gerechten Anteil beisteuern. Fairen Wettbewerb kann es nur geben, wenn alle etwas beitragen und nach denselben Regeln spielen.«
In einer früheren Version dieses Textes hieß es: Vergangenen Monat konnten sie zum ersten Mal 2 Mitarbeiter einstellen. »Noch schreiben wir natürlich keine schwarzen Zahlen, deswegen müssen wir erst mal nur Umsatz- und Gewerbesteuer zahlen«, berichtet Luise Raven. Das sei für ein junges Unternehmen aber auch schon nicht ohne: Insgesamt 30% müssen sie an das Finanzamt abtreten. »Wenn wir bald die ersten Gewinne erwirtschaften, müssen wir darauf auch noch 15% Körperschaftsteuer zahlen.« Diese Aussage wurde nachträglich in Absprache mit den interviewten Personen korrigiert.
Titelbild: Tyler Nix - CC BY-NC-ND 2.0